Die Entscheidung der EZB, in massivem Umfang europäische Anleihen zu kaufen, sorgt weiterhin für heftige Kontroversen unter Finanzexperten. Kritiker befürchten die mittel- und langfristigen Folgen dieser als Anti-Deflations-Maßnahme bezeichneten Geldschwemme aus Frankfurt am Main. Nicht wenige sehen in dem Ganzen eine freche Kompetenzüberschreitung. Sie befürchten außerdem, dass man es am Ende nicht nur mit erfolglosen Maßnahmen zu tun haben wird, sondern mit einem Zauberlehrling Draghi, der die von ihm geschaffenen Verhältnisse am Finanzmarkt nicht mehr unter Kontrolle bekommt.
Mario Draghis Vorbilder: USA und Großbritannien
Mario Draghi sieht seine Maßnahme als Konjunkturprogramm. Da die Inflationsrate mit 0,2 % weit unter den angestrebten 2 % bleiben, sieht man bei der EZB Handlungsbedarf. Die EZB kann keine Preise festsetzen, aber gegebenenfalls über Wechselkurse, Preise für Vermögen, Finanzierungskosten sowie Inflationstendenzen mittelbar auf die Preisentwicklung einwirken.
Sehen sich etwa Anleihekäufer durch den Aufkauf sinkenden Renditen gegenüber, so seien sie bereit, in andere Anlagen – zum Beispiel von Unternehmen – zu investieren. Unternehmen profitierten in der Folge von sinkenden Finanzierungskosten. Bei den Wechselkursen käme es durch einen Anleihekauf zu Verschiebungen. Ausländische Anleger weichen wegen der geringen Zinsen im Euroraum in andere Währungen aus, so dass der Euro gegenüber anderen Währungen wie dem Dollar abwertet. Einkaufspreise für Exporte aus der EU sinken aus der Sicht ausländischer Käufer und diese seien bereit, mehr Produkte aus dem Euro-Raum zu kaufen.
Soweit die Theorie und Draghis Vorbilder: Die USA und Großbritannien hätten durch entsprechende Anleihekäufe die eigene Wirtschaft erfolgreich angekurbelt und wären der Gefahr von deflationären Tendenzen in Form von sinkenden Preisen begegnet. Soweit auch die erfolgreichen Mitspieler beim Anleihekauf.
Das Beispiel Japan zeigt, dass dieser Weg keinesfalls erfolgreich sein muss. Trotz massiver Eingriffe im Form von Anleihekäufen und anderen Maßnahmen konnte Japan nur kurze Zeit von wirksamen wirtschaftlichen Impulsen profitieren. Mario Draghi geht zumindest das Risiko ein, dass seine Anleihekäufe mehr oder minder erfolglos bleiben. Nach Auffassung vieler Experten drohen allerdings viele weitere Nebenwirkungen dieser harten finanzwirtschaftlichen Arznei.
Von Spekulationsblasen und anderen Gefahren
Die Flucht von Anlegern in andere, potentiell risikoreichere Anlageformen kann das Entstehen von typischen Spekulationsblasen unterstützen. Auch Banken werden sich aufgrund der Menge an freiem Geldkapital an diesem Spiel beteiligen. Nicht wenige Experten sehen am Horizont das Gespenst einer weiteren Immobilienblase aufkommen, ähnlich der, die die Welt in die letzte Finanzkrise gestürzt hat. Preisblasen gefährden nach Auffassung mancher Finanzfachleute das gesamte Finanzsystem. In Deutschland sieht man auch die Gefahr, dass an sich dringend notwendige Strukturmaßnahmen und Haushaltskonsolidierungen in anderen Ländern verzögert und ins Unendliche verschoben werden. Das verfügbare Geld könne leichtsinnig machen, was sich in Zukunft bei Änderung der Verhältnisse fatal auswirken und die Euro-Krise mittelfristig verstärken werde.
Letztendlich kann nur die weiteren Entwicklung zeigen, ob die Kritiker oder Befürworter der EZB-Maßnahmen am Ende recht behalten.